BFW-Dortmund

„Return to Work – der unterschätzte Part im Betrieblichen Gesundheitsmanagement“

Prof. Dr. Andreas Weber spricht auf Fachkongress

Neue Perspektiven für eine gesunde Arbeitswelt werden am 10. und 11. September 2018 in Köln erörtert. Hier treffen Gesetzgeber auf Querdenker, Verbände diskutieren mit Praktikern und Visionäre entwickeln mit Entscheidern neue Ideen und Lösungsansätze. Prof. Dr. Andreas Weber, Leiter des medizinischen Dienstes im Berufsförderungswerk Dortmund, ist einer der Redner auf dem BGM Summit, dem Kongress für Betriebliches Gesundheitsmanagement. Er wird aufzeigen, welche bisher nicht ausgeschöpften Potentiale betriebliches Gesundheitsmanagement beim sogenannten „Return to Work“ bietet. Vorab hat Prof. Dr. Andreas Weber dazu ein Interview gegeben. 

„Return to Work – der unterschätzte Part des BGM“

Von chronischen Erkrankungen spricht man in der Regel bei Krankheiten, die über einen längeren Zeitraum andauern (länger als sechs Monate), nicht vollständig geheilt werden können oder immer wiederkehren. Gerade in unserer heutigen Zeit wird es immer wichtiger chronisch erkrankte, aber motivierte und arbeitsfähige Arbeitnehmer nicht auszugliedern, sondern entsprechend ihren Fähigkeiten mitzunehmen und Arbeit möglich zu machen. Warum das so ist und welche bisher nicht ausgeschöpften Potenziale Betriebliches Gesundheitsmanagement beim sogenannten „Return to Work“ bietet, erläutert Prof. Dr. Andreas Weber in seinem Vortrag auf dem BGM Summit. Uns hat er bereits vorab verraten, warum „Return to Work“ seinen Ursprung in Deutschland hat und welche Rolle die digitale Transformation bei der Wiedereingliederung von chronisch Kranken Erwerbstätigen spielt.

Warum sollten Arbeitgeber in die Erwerbsfähigkeit chronisch kranker Menschen investieren bzw. die Wiedereingliederung chronisch kranker Menschen erleichtern?

Ganz einfache Antwort: Aufgrund des demografisches Wandels bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Manche Studien sagen, dass bereits 2025 30 Prozent aller Arbeitnehmer älter als 55 sein werden. Deshalb sollten Arbeitgeber sich schon aus diesem Grund für ihre im Betrieb etablierten, wenn auch älteren und oftmals chronisch erkrankten Mitarbeiter einsetzen.

Zum anderen sind chronisch erkrankte Arbeitnehmer in der Regel sehr dankbare Mitarbeiter, wenn sie Chefs haben, die ihnen eine Perspektive geben. Klar, ein chronisch kranker Mensch wird auch mal Arzttermine innerhalb der regulären Arbeitszeit wahrnehmen müssen und auch nicht immer die volle Leistung bringen können. Aber wenn der Arbeitgeber das akzeptiert und ggfs. Arbeit umorganisiert, dann haben sie loyale Mitarbeiter, die nicht vergessen, was für sie getan wurde.

Warum steigt die Anzahl chronisch kranker Menschen überhaupt? Liegt es an unserer Leistungsgesellschaft?

Das Lebensalter spielt schon eine entscheidende Rolle. Je älter, desto wahrscheinlicher ist es, dass jemand chronisch erkrankt. Viele Menschen leiden auch an mehreren chronischen Erkrankungen, die sogenannte Multimorbidität. Etwa ein Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland ist chronisch krank, wobei wir eine hohe Dunkelziffer haben, weil man sich in einer leistungsorientierten kompetiven Gesellschaft nicht gerne als krank outet. Dabei gibt es einen ganz klaren Altersgang: In der Gruppe der über 50-jährigen ist bereits jeder zweite chronisch krank. Das ist übrigens in allen Industrienationen so. Dem liegen zwei große Erkrankungsgruppen zugrunde: zum einen Muskel- und Skeletterkrankungen, zum anderen psychische Leiden.

Bezüglich psychischer Erkrankungen gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie hoch der Anteil arbeitsbezogener Stressoren an der Manifestation oder Verursachung der Erkrankung ist. Aus meiner Erfahrung gehen die Leute, die das betrifft, bereits mit einer entsprechenden Veranlagung oder sogar Vorerkrankung ins Arbeitsleben und unter den heutigen Bedingungen der Arbeitswelt mit Arbeitsverdichtung, Stress, Ängsten und Konflikten manifestiert sich dann eine psychische Störung, die zudem nicht immer exakt klassifiziert wird. Bei den chronischen Muskelskeletterkrankungen liegt es zum einen am Lebensstil, zum anderen aber auch an schwerer körperlicher Arbeit, die es auch heute noch in Deutschland gibt.

Im Prinzip ist die Diskussion über die Ursache aber vor allem akademischer Natur. Denn das Management in der betrieblichen Praxis ist ein wachsendes Problem. Die Frage ist doch: Wie gliedern wir diese Menschen wieder vernünftig in das Erwerbsleben ein, wenn Frühberentung oder HartzIV keine wirklichen Alternativen für Menschen mit Anfang 50 sein können.

Auf welche Art und Weise kann BGM helfen, den „Return to Work“ zu erleichtern?

Aus meiner Sicht kann betriebliches Gesundheitsmanagement sehr gut helfen, wenn man es als umfassendes Konzept versteht. Das klassische Verständnis geht ja davon aus, dass BGM betriebliche Gesundheitsförderung, Arbeits- und Gesundheitsschutz und eben Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) umfasst. Aber BEM ist nur ein (kleiner) Teil der Return to Work Philosophie.

Seinen Ursprung hat das Return to Work Konzept übrigens in Deutschland zur Zeit des Ersten Weltkrieges, als plötzlich und unvorbereitet tausende junger verkrüppelter Männer von der Front zurückkamen und das Problem zu lösen war, wie diese Menschen wieder in den normalen Alltag einzugliedern sind. Der Orthopäde und Hochschullehrer Konrad Biesalski hat 1915 ein auch heute noch lesenswertes Buch über die wirtschaftliche Bedeutung der „Krüppelfürsorge“ verfasst. Das war gewissermaßen die Geburtsstunde der beruflichen Rehabilitation in Deutschland. Einige seiner Argumente und Statements bringe ich mit zum Vortrag, Natürlich ist das Wording ein anderes, aber die Idee ist nach wie vor zeitgemäß, schon damals hat man gesagt: „Der Krüppel muss vom Almosenempfänger zum Steuerzahler werden“. Heute geht es darum, dass der chronisch Erkrankte nicht zum Empfänger von Transferleistungen wird, sondern auch als Beitragszahler in die Sozialversicherung wieder voll integriert ist.

Begünstigt oder erschwert die digitale Transformation den „Return to Work“ aus Ihrer Sicht und warum?

Wissenschaftlich seriös kann man diese Frage noch nicht beantworten, da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen und Perspektiven. Auf der einen Seite vereinfachen digitale Lösungen viele Prozesse und machen zukünftig eventuell auch Arbeiten für Leute möglich, für die das aus heutiger Sicht undenkbar scheint. Auf er anderen Seite wird die Digitalisierung aber auch dazu führen, dass Menschen, die Bildungs- und/ oder Gesundheitsdefizite haben, noch weiter ins Abseits gedrängt werden könnten, wenn sie sich nicht anpassen können. Die Digitalisierung ist folglich kein Allheilmittel, ich möchte sie aber auch nicht verteufeln. Was auf jeden Fall nötig sein wird, sind bestimmte Fähigkeiten, beispielsweise lebenslang lernbereit zu sein. Und es ist wichtig die Menschen, die nicht digital affin sind, mitzunehmen und damit vertraut zu machen, um ihnen die Angst vor Veränderungen zu nehmen, die in Deutschland ja ein generelles Problem zu sein scheint.

Wie gut funktioniert die Wiedereingliederung in den Beruf in Deutschland?

Die Statistiken dazu stammen aus ganz unterschiedlichen Quellen: In Deutschland ist ein wesentliches Instrument von Return to Work die Rehabilitation, sowohl die medizinische als auch die berufliche. Beide haben unterschiedliche Träger, Volumen und Kunden etc. Bei der medizinischen Rehabilitation, die bei Menschen im erwerbsfähigen Alter im Regelfall zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt, sagen die Zahlen, dass nach etwa zwei Jahren circa 85 Prozent wieder erwerbstätig sind. Für die berufliche Rehabilitation gibt es zwei große Träger: Die Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit. Im Weiteren bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auch die gesetzliche Unfallversicherung. Das ist auch unser Tagesgeschäft. Wir unterstützen Menschen auf ihrem Weg zurück in das Erwerbsleben, die gesundheitlich so schwer gehandicapt sind, dass sie ihren erlernten Beruf nicht mehr ausführen können. Die haben dann in einem Berufsförderungswerk die Chance, in bis zu zei Jahren dauernden Qualifizierungsmaßnahmen mit IHK Abschluss einen neuen Beruf zu erlernen. Die Reintegrationsquote in Arbeit beträgt dabei zwischen 60 und 70%, in bestimmten Berufsbildern ist sie sogar noch deutlich höher, weil die Nachfrage am Arbeitsmarkt steigt. Aber sie haben natürlich auch Reintegrationen, die nicht über Reha-Maßnahmen laufen, die täglich ohne große Formalien in Betrieben umgesetzt werden. Dazu kenne ich allerdings keine Statistiken.

Übrigens sind in Deutschland mehr als 80 Prozent der arbeitsunfähigen Erwerbstätigen, „Kurzzeit-AUs“, das heißt gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer sind weniger als 6 Wochen krankgeschrieben. Es gibt ja auch sechs Wochen Lohnfortzahlung und der Arbeitnehmer hat deshalb natürlich auch ein Interesse daran, wenn es irgendwie geht nach spätestens sechs Wochen wieder arbeiten zu können. Nur etwa 5 Prozent sind komplizierte Langzeit-AUs.

Wie können sich Arbeitnehmer vor psychischer und physischer Erkrankung – bedingt durch den Beruf – schützen? Welche Präventivmaßnahmen helfen wirklich?

Das kommt auf die Branche an. Bei einer Branche mit hoher körperlicher Belastung, da würde ich als leitender Betriebsarzt schon beim Eintritt von jungen Menschen dafür sorgen, dass sie regelmäßig körperlich trainieren. Damit das funktioniert, muss das während der Arbeitszeit gemacht werden, in Zusammenarbeit mit Experten, das sollte man dem Einzelnen nicht in seiner Freizeit überlassen. Mittlerweile gibt es dazu auch gute digitale Trainingsprogramme. Die Probleme bei der körperlichen Belastbarkeit gehen Ende 40, Anfang 50 los, aber dann erst etwas für die Fitness tun, ist häufig zu spät.

Bei psychischer Belastung ist die Mitarbeiterauswahl wichtig und insbesondere, dass der Job zum Mitarbeiter passt (das sog. Person- Environment- Fit). Berufliche Beratung ist ein wesentlicher Bestandteil, aber letztendlich kommt es immer auf den individuellen Arbeitsplatz an: Wenn zwar die Arbeit stressig ist, aber Handlungsspielräume, Führungskräfte und Betriebsklima insgesamt gut, dann sind viele Arbeitnehmer wesentlich resistenter gegen Stress, als wenn es umgekehrt ist. Darüber hinaus ist es gerade in stressassoziierten Bereichen schon wichtig, eine regelmäßige Supervision zu haben. Die Arbeitnehmer sollten bestimmte Techniken zum Umgang mit Stress erlernen. Große Probleme gibt es bekanntermaßen im Pflege- und Gesundheitsbereich: Kaum ein Alten- oder Krankenpfleger kann hier von 15-65 Jahren durcharbeiten und bleibt gesund. Die Politik hat das mittlerweile erkannt und versucht mit diversen Maßnahmen gegenzusteuern.

Zur Person:
Der Facharzt für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Prof. Dr. Andreas Weber leitet seit 2011 den Medizinischen Dienst im Beförderungswerk Dortmund. Er ist außerdem außerplanmäßiger Professor der Med. Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Lehrbeauftragter für Arbeitsmedizin der Universität Witten/Herdecke.

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